„WENN SICH NACHHALTIG ETWAS ÄNDERN SOLL, DANN MUSS SICH DAS MÄNNERBILD ÄNDERN UND NICHT DAS FRAUENBILD.“

Ich bin 20 Minuten zu früh, weil ich mir nicht sicher war, ob ich das Café direkt finden würde. Es ist mein erstes Mal in Gießen. Ich warte auf Annika. Annika ist 27, sie hat Geschichte und Fachjournalistik  studiert und fotografiert seit zwei Jahren frei. Wir setzten uns mit einer Kanne Tee nach draußen. Es ist zwar kalt, aber dort ist es ruhiger als drinnen. Annika trägt einen schwarzen Mantel und einen kleinen Seiden-Schal um den Hals. Als sie anfängt zu reden, fallen ihre dunkelbraunen Haare ins Gesicht. Wir reden über ihre Projekte, über ihren Blickwinkel von Männlichkeit und wie sie es schafft, diese einzufangen. 

 

Hast du Fotografie studiert? 

Ich habe mich damals gegen Fotografie als Studium entschieden, obwohl ich mich schon seitdem ich 16 bin, für Fotografie interessiere. Ich habe immer schon viel fotografiert, aber wusste nie wirklich, was ich damit anfangen soll. Mein größter Albtraum war, ein Fotostudio in der Stadt zu haben, wo Leute Passfotos von sich machen lassen. Ich glaube, ich hatte niemanden in meinem Umkreis, der mir gezeigt hat, was ich alles damit erreichen kann. Mit 16 hatte ich dann meinen ersten Helmut Newton Bildband. Mit 16 wusste ich aber noch nicht, dass ich damit auch Geld verdienen könnte, und habe die Idee, Fotografie zu studieren, dann wieder verworfen. Dann dachte ich mir, ich mache lieber was Handfestes und habe mich für Geschichte und Fachjournalismus entschieden (lacht). Deswegen bin ich auch in Gießen gelandet. Ich wollte irgendwie an die Uni und etwas Geisteswissenschaftliches machen, irgendetwas für den Kopf. Was total dumm ist, weil Fotografie auch etwas für den Kopf ist. Dann habe ich den Bachelor letztendlich doch abgeschlossen. 

 

Und wie bist du dann letztendlich zur Fotografie gekommen? 

In Fachjournalismus hatte ich Praxisseminare, wie Fotojournalismus und Foto für die Presse, welche sehr ernüchternd waren, wenn dir einer im Rentneralter erzählt, wie man Fotos macht. Der Dozent hat uns dann die ganze Zeit Dias gezeigt, von seiner Frau im Urlaub, als sie noch jung waren. 

Wir sollten Fotos machen und Leute, die noch nie eine Kamera in der Hand hatten, hatten eine eins und ich hatte nur eine zwei und das hat mich damals sehr geknickt. Von dem Dozenten wurde mir dann beigebracht, dass man so keinen Mann fotografiert, weil meine Fotos weicher waren, als die der anderen. Ich weiß noch, dass ich mich darüber furchtbar aufgeregt habe. Danach hatte ich ein anderes Fotoseminar, mit einer jungen Fotografin und da merkte ich, dass mich der Rest meines Studiums überhaupt nicht interessiert und ich mich mehr für Fotografie interessiere. Ich habe aber das Studium abgeschlossen und danach hier in Gießen technische Redaktion und multimediale Dokumentation angefangen. Ich habe neben meinem Studium die ganze Zeit fotografiert und mich auf meine Fotos konzentriert. Aber erst seit drei Jahren habe ich mich mehr damit beschäftigt, was ich mit meinen Bildern sagen will und wie ich das visuell umsetze. Jetzt versuche ich mehr als Fachjournalistin zu arbeiten und nebenbei vielleicht weiter als Texterin im Journalismus-Bereich. 

 

 

 

Was inspiriert dich für deine Fotos?

Ich fand Aktfotografie schon immer interessant. Irgendwann hat es einen Bruch gegeben, wo ich dachte, warum werden Aktfotos von Frauen immer so objektiviert und sexualisiert? Die Frau ist meist nur ein Sexobjekt. Mittlerweile finde ich es richtig ekelhaft und kann es wirklich nicht mehr sehen. Ich mag Nacktheit einfach gerne auf Fotos, vielleicht auch in erster Linie, weil ich Kleidung nicht fotografieren will. Inspiriert hat mich Newton, den fand ich schon immer extrem großartig. 

 

Warum Newton? 

Die Frauen, die er fotografiert hat, waren alle immer sehr sexy, aber ich mochte es, wie sehr er sie angebetet hat. Die Frauen waren immer sehr stark und hatten Körperhaare. Die Schwarz-Weiß-Kontraste haben mich sehr geprägt. Newton hat in seinen Bildern Fetische vereinbart, ohne dass es nach Fetisch aussah. Ich schätze seine Arbeit sehr trotz der Kritik aus der feministischen Ecke.

Auf jeden Fall habe ich mich dann mit Frauen und den Körper zur Entsexualisierung beschäftigt. Dafür habe ich eine Serie geschossen, die ‚Scared of Girls‘ heißt. In dieser Werkreihe ging es um die Entsexualisierung der weiblichen Brust und des weiblichen Gesichts. Es sollte verdeutlichen, dass Brüste nicht nur erotisch sind sondern einfach auch nur ein Teil des weiblichen Körpers. Danach hat mich dieses Frauenthema extrem gelangweilt, einfach aus meinem eigenen Selbstverständnis heraus, wie ich mich selbst als Frau sehe. Natürlich bin ich nicht nur Sexobjekt, deswegen muss ich da jetzt nicht zwei Jahre weiter dran arbeiten. Ich habe dann gemerkt, dass ich mir oft Themen aussuche, um mir selbst über etwas klar zu werden. 

 

War die Darstellung von Männern ein anderes Thema, über das du dir klarer werden wolltest? 

Nachdem mein Dozent mir gesagt hatte, dass man so keinen Mann fotografiert, habe ich mich gefragt, wer wem eigentlich vorschreibt, wie man einen Mann zu fotografieren hat? Als hätten Männer immer ein bestimmtes Licht und müssen immer hart aussehen. Bloß nicht zu weich, bloß nicht die Blende aufmachen, bloß keine Konturen im Gesicht. Zu der Zeit hatte ich von meinem Freund ein Foto im Wald gemacht, in so einem Blumenbusch. Ich weiß noch, ich habe die Negative zurück bekommen und mein Freund und ich mussten lachen, weil das eine Foto so weich aussah. Ich habe das Foto dann zuerst gar nicht berücksichtigt, aber zwei, drei Wochen später habe ich gedacht: Eigentlich ist dieses Bild genau das, was ich ausdrücken will. Dann habe ich entschieden, weiter an der Reihe zu arbeiten. Zu der Zeit haben alle Frauen fotografiert, die Narben haben, oder Brüste, die nicht sexy sind. Frauen haben Körperhaare und ihre Tage – wow. Das waren alles Sachen, die mir sowieso klar waren. Mein Frauenbild war sowieso nie das, was in den Medien gezeigt wurde. 

 

 

Warum ist es dir wichtig „Männlichkeit“ anders darzustellen? 

Ich hatte früher viele Freunde und war nie so wirklich in einem Mädels-Freundeskreis drin. Ich habe früher gar nicht diesen Groll auf Männer verstanden, mittlerweile verstehe ich diesen Groll wesentlich besser (lacht). Für mich ist das Problem nicht nur das Frauenbild. Natürlich wachsen wir Frauen nach einem bestimmten Bild auf, aber die Männer doch genauso. Ich glaube Männer haben einen viel krasseren Druck, der nicht nur durch sie selbst individuell auferlegt ist, sondern durch die patriarchal geprägte Gesellschaft. Selbst die Männer, die denken sie entsprechen diesem Bild, gehen daran kaputt, weil sie immer etwas beweisen müssen. Das finde ich furchtbar. Ich hatte in den letzten Jahren viele homosexuelle Freunde um mich herum und empfand die Energie oft als angenehmer. Wenn sich nachhaltig etwas ändern soll, dann muss sich das Männerbild ändern und nicht das Frauenbild. 

 

Aber ich finde es sehr wichtig, dass sich das Frauenbild ändert und es ist ja auch gerade im Wandel. 

Ja komplett. Es ist auch wichtig, dass es sich ändert, aber solange sich das Männerbild nicht ändert, wird die Änderung des Frauenbildes nicht durchsickern. 

Und wie kann man dieses Männerbild ändern? 

Schwäche eingestehen. Männer reden nicht oft über ihre Probleme und machen viel mit sich selbst aus. Wenn sie anfangen würden ihre Schwächen einzugestehen und anerkennen, dass sie das was an sie herangetragen wird, an Anforderungen, die sie erfüllen müssen als Mann, als Versorger nicht erfüllen müssen.

 

Was bedeutet denn für dich „Männlichkeit“?

Dazu stehen, wer man ist. Ich zitiere da gerne Lukas, den ich damals für eine Reihe fotografiert habe. Der meinte, für ihn bedeutet Männlichkeit, einen „Fick“ auf seine Männlichkeit zu geben. Das fand ich sehr schön. Ich glaube, es geht einfach darum, sich wohlzufühlen und keine Berührungsängste zu haben. Ich kann mich nicht davon freisprechen, keinen Unterschied zwischen Geschlechtern zu machen, es wäre unsinnig, das zu behaupten. Ob männlich oder weiblich, es ist einfach wichtig zu sich selber zu finden und damit klarzukommen, wer man ist. Man sollte nicht danach streben ein besserer Mann oder eine bessere Frau zu werden, sondern für sich selber einzustehen. 

 

 

Deine Bilder sind sehr intim. Wie versuchst du Intimität auszudrücken? Ist es leichter einen intimen Moment zu kreieren, wenn die Person auf dem Foto nackt ist?

Ja schon, zumindest für einen außenstehenden Betrachter. Für mich ist der Moment nicht gleich intim, nur weil die Person nackt ist. Ich mache auch keine Aktfotos per se und erst recht sind die Leute auf meinen Fotos nicht nackt, nur damit die Bilder besser ankommen. Aber jemanden in die Badewanne zu setzen, ohne das er nackt ist, empfinde ich irgendwie als unnatürlich. Es kommt immer erst auf den Moment an, den ich fotografieren möchte und wenn dann Kleidung von dem Menschen ablenkt, lasse ich sie gerne weg. Dass die Leute, die ich fotografiere, bereit sind sich für meine Fotos auszuziehen finde ich sehr nett. Das kann ich auch natürlich nur machen, wenn ein Funke übergesprungen ist. Klar hat man eine ästhetische Präferenz und ich sehe, wer in mein Konzept passt und wer nicht.

 

Wer passt denn in dein Konzept? Wer sind die Männer, die du fotografierst?

Gute Frage, irgendwie muss ich einfach das Gesicht mögen und interessant finden. Wenn ich die Person anschaue und merke, irgendwas hält mich an dem Gesicht fest. Und falls es dir aufgefallen ist, fotografiere ich keine extrem muskulösen Männer (lacht). Lukas habe ich damals auf der Straße angesprochen. Der hatte Spaß an den Fotos und Bock darauf. Natürlich entstehen nicht mit allen gleichermaßen tiefe Freundschaften, aber man hat danach eine Verbindung und wenn man sich trifft, sei es auf der Straße oder einer Party, freut man sich sehr.

 

Warum eigentlich nicht muskulöse Männer fotografieren? Wäre das nicht eine Challenge? Glaubst du, die können nicht weich rüber kommen? 

Ja vielleicht ist das mal eine Challenge um das Bild zu ändern. Ich glaube die Männer, die ins Fitnessstudio gehen, haben ein komplett anderes ästhetisches Verständnis, als ich. Ich glaube die wollen sich nicht anders sehen. Wenn du von denen Fotos machst, auf denen sie schwach und verletzlich rüber kommen, zeigst du ihnen ja genau das auf, weswegen sie jahrelang ins Fitnessstudio gerannt sind, um eben genau das Gegenteil zu bewirken. Ich glaube, die könnten nichts mit meinen Fotos anfangen, aber wenn ich Glück habe, passiert das irgendwann. 

 

 

Du fotografierst oft deinen Freund, ob im Blumenbusch, im See oder im Bett. Wie findet er die Bilder von sich? 

Er fand das Projekt an sich schmeichelnd. Er arbeitet ebenfalls künstlerisch, hauptsächlich als Schriftsteller. Kurz bevor wir zusammengekommen sind, habe ich ihm erzählt wie gerne ich ihn beim Malen und Zeichnen dokumentieren würde und so hat es auch angefangen. Davor war ich in einer anderen Beziehung und in dieser Zeit hatte ich auch angefangen mehr zu fotografieren. Als ich mir dann nach der Trennung die Fotos angeguckt habe, habe ich gesehen, wie weit wir zu der Zeit schon voneinander entfernt waren und das diese Beziehung in die Brüche ging, war schon auf den Fotos offensichtlich. Die Fotos, die ich früher gerne gehabt hätte, habe ich dann in der darauf folgenden Beziehung gemacht. Satt gesehen habe ich mich an ihm noch nicht und habe mir vorgenommen, solange wir im Leben des anderen sind, werde ich nie aufhören ihn zu dokumentieren. Vielleicht weniger obsessiv. Aber an sich sind diese Fotos die, die man nicht faken kann. 

 

Was steht als nächstes an? Was wäre ein Projekt, worauf du Lust hättest?

Ich hätte Lust mehr Künstler und Musiker zu fotografieren, mit jemandem auf Tour gehen! Außerdem beschäftige ich mich gerade viel mit Sex und Tod, deshalb auch die Strecke Eros und Thanatos. Mein Mitbewohner ist Dramaturg, und als ich alle mein Polaroids in meinem Zimmer ausgebreitet habe, meinte er: „Wow Annika, die Beziehung zwischen Sex und Tod wird in deinen Bildern immer deutlicher“. Er hat mich eigentlich erst richtig darauf aufmerksam gemacht, dass ich unbewusst diese Themenbereiche miteinander verbinde. Das war eine gute Beobachtung, denn beide Bereiche faszinieren mich schon mein ganzes Leben und sie stehen ja in gewisser Weise in einem Widerspruch zueinander. Deshalb erfüllt es mich daran zu arbeiten, auch wenn es nicht so einfach ist. Ansonsten möchte ich ebenfalls mehr filmen. Meine Super 8 Kamera wartet schon.

Das hört sich sehr interessant an, ich bin gespannt auf deine nächsten Projekte. Annika, vielen Dank für das Gespräch. 

 

Die szenischen Bilder des Gesprächs findet Ihr hier.

Mehr Fotos von Annika findet ihr auf ihrer Website und ihrem Instagram Account. 

Fotomaterial von Annika Weertz.

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